Wohl temperierte Schauder: Aphex Twin hat wieder gelötet (German)

22. Okt. 2001 Im Jahre 1993 enterte Richard D. James alias Aphex Twin mit seinem wegweisenden Album "Selected Ambient Works II" das Musikbusiness. Alsbald wurde er von der englischen Musikzeitschrift Melody Maker als "Mozart des Techno" bezeichnet; andere erkannten in James einen durchgeknallten Bastler.

Beide Psychogramme haben bis heute Gültigkeit. Denn einerseits klingen
Aphex-Twin-Stücke weiterhin wie klassisch gearbeitete Kompositionen -
zwischendurch dringt aber immer wieder James' Wahnwitz hervor: James hat dieverwendeten Elektro-Instrumente auseinandergenommen und neu zusammenlötet. So entstanden Geräusche und Sounds, die unheimlicher kaum klingen könnten.

Die Lust an der Angst

Aphex Twins neue Kompositionen sind einmal mehr auditive Alpträume. Auch auf "Drukqs" kehren verdrängte Ängste aus dem Unterbewussten zurück. Krach und atonale Exzesse stören unser herkömmliches Harmonieverständnis; eigentlich müsste man davor davonlaufen. Doch erzeugt James' Musik eine eigenartige 'Angstlust'; dieser Horror lässt sich genießen. Die immer wieder eingestreuten Pianopassagen temperieren den Schauder, wärmen ihn auf, so dass er schön und attraktiv wirkt.

Auch diesmal versteht es sich fast von selbst, dass Richard D. James an dem E-Piano herumgelötet hat. Durch die Manipulation der Saiten und Schaltkreise hat er dem Gerät noch nie gehörte, gleichsam fantastische Sounds entlockt. Auch die oberflächlich schöne, an den Komponisten Erik Satie erinnernde Pianomusik trägt somit stets etwas Unheimliches an sich.

Kongeniale Traumarbeit

Richard D. James behauptet denn auch, dass er viele seiner Stücke im Schlaf komponiert; er zählt nach eigenen Worten zu der Spezies der bewusst Träumenden. So wie er die Elektronik seiner Geräte manipuliert, kann Aphex Twin auch seine Schlafvisionen willentlich verändern und lenken. Mit dem Videoregisseur Chris Cunningham hat Richard D. James längst einen kongenialen Partner für seine Traumarbeit gefunden: Während James seine (Alp-)Träume zu komplexen Klang- und Tonfolgen sublimiert, hat Cunningham sie in horrorfizierende Bildorgien übersetzt. Cunninghams Visualisierungen
der älteren Aphex Twin-Songs "Come to Daddy" und "Windowlicker" sind
preisgekrönte Arbeiten und zählen zu den meist gezeigten Musikvideos
überhaupt.

Hermetische Komplexität

Wollte man diese Doppel-CD rubrizieren, sollte man sie wohl trotz der vielen schmiegsamen Ambient-Passagen unter Drum'n'Bass ablegen. Jedenfalls benutzt James die entsprechenden Klangingredienzen. Gerecht würde diese einfache Etikette der oft hermetischen Komplexität von "Drukqs" aber keineswegs. Viel zu fasrig, verästelt und tiefgründig klingen die 30 Stücke mit so seltsamen Titeln wie "beskhu3epnm" oder "bbydhyonchord".

Begehrter Bastler

Es ist sein kryptisches Musikvokabular, das Richard D. James zu einem der begehrtesten Musiker macht. Von U2 über Björk bis Madonna haben schon viele bekannte Stars bei ihm um Kooperation gebeten. Doch der Aphex Twin liebt das einsame Träumen und das nächtelange Basteln. Nur ungern lässt er sich bei seinem zugleich unheimlichen und faszinierenden Tun stören.


"Drukqs" von Aphex Twin ist auf Warp/Zomba erschienen.

Written by Von Aram Lintzel from Frankfurter Allgemeine Zeitung